Stolz, nicht Hochmut

Interview mit dem neuen Botschafter der Tschechien Republik in Berlin Übersetzung aus dem Tschechischen von Ivana von den Driesch

Mit dem neuen Botschafter in Berlin sprach ich über die Deutschen sowie über „Klassenbeste“ und „Leibeigene“

Vor sechzehn Jahren sind Sie nach Deutschland als ein mittelloser Emigrant gegangen, heute sendet Sie die Tschechische Republik als Botschafter. Empfinden Sie Genugtuung?

Ich weiß nicht, ob es eine Genugtuung ist. Mit Sicherheit ist es jedoch einer der überraschendsten Momente in meinem Leben.

Werden Sie sich als Botschafter die Orte ansehen, an denen Sie in Armut gelebt haben?

Mit Sicherheit. Mann kann nicht vollständig das ablegen, wer man in Vergangenheit war, zuminest ich kann es nicht. Das Exil brachte mir viel, obwohl ich in dieser Zeit auch arbeitlos war und mit 390 DM monatlich meine Familie ernähren mußte.

BAUMWOLLE UND GARNE

Welchen Tätigkeiten sind Sie als Emigrant nachgegangen?

Erfolgreich war ich nicht gerade. Ich verkaufte Hemden und arbeitete an der Rezeption in einem Hotel.

Ist das eine gute Qualifikation für einen Botschafter?

Im Allgemeinen gilt: Alles, was Sie lernen, können Sie auf irgendeine Art und Weise im Leben brauchen. Als ich seiner Zeit Václav Klaus in Berlin begleitete, waren wir auch im französichen Geschäft Lafayette und schauten uns dort Hemden an. Klaus gefielen die Hemden, sie schienen ihm aber sehr teuer. So begann ich ihm wie ein Verkäufer zu erzählen: Schauen Sie sich die Farbe an, die Garne ..., das Hemd wird Ihnen zwei Jahre halten, auch wenn es jeden Tag gewaschen wird. Was ich über Hemden wußte, habe ich auch gesagt. Klaus fragte dann einen meiner Kollegen: „Wie ist das möglich? Hier ist ein Diplomat, der Fachkenntisse hat.“

Solche Kenntnisse sind für einen Diplomaten sicherlich nicht von einer Schlüsselbedeutung.

Täuschen Sie sich nicht. Je nach dem, was Menschen tragen, können Sie in einem gewissen Maße abschätzen, wie sie sich pflegen. Durch die Art, wie sie es tragen, senden sie ein gewisses Signal aus. In den Kreisen der Diplomaten und Bänker werden solche Sachen sehr ernst genommen.

Änderte die Emigration ihre Lebensphilosophie?

Das ist schwer zu beantworten. Als Emigrant macht man auch beschämende und unangenehme Erfahrungen, wenn man sich um Akzeptanz in der neuen Umgebung bemüht. Irgendwann wurde mir bewußt, wie wichtig es für mein weiteres Überleben ist, den Hochmut abzulegen und den Stolz zu bewahren. Ich begann, dazwischen zu unterscheiden. Wichtig war auch der Moment, als ich den ersten deutschen Traum hatte. Als ich aufwachte, konnte ich fast nicht mehr sagen, wie ich eigentlich hieß. Es war der Augenblick, in dem ich die fremde Sprache nicht mehr nur benutzte, sondern in ihr lebte. Diese Erfahrung zeigte mir, inwieweit ich das fremde Land verinnerlicht habe.

TSCHECHEN VOR WOLFSBURG

Warum haben Sie nach Ihrer Rückkehr aus Deutschland Tschechische Republik der Slowakei vorgezogen?

Im Jahre 1990 schrieb ich in einem Artikel, daß sich die Republik teilen wird und daß die Slowaken Prag auf dem Weg nach Europa nicht überspringen können. Damit löste ich eine sehr große Empörung aus und die Nationalisten demonstrierten gegen mich, hingen mein Photo aus, spuckten darauf und verunstalteten es. Von Prag aus rief mich damals mein langjähriger Freund Ján Langoš an, der Innenminister der Föderation war, und stellte mir die Frage, wie schnell ich packen könne. Ich sagte: Innerhalb von 15 Minuten bin ich fertig. So schnell mußte es aber doch nicht sein, das Auto kam in Bratislava erst 5 Stunden später an.

Mit welchen Absichten gehen Sie als tschechischer Botschafter nach Berlin?

Die Aufgabe eines Diplomaten im Staatsdienst ist es nicht, Außenpolitik zu gestalten, sondern mit durchzusetzen.

Was denken Sie über die Abschiebung der Sudetendeutschen?

Ich bin tief davon überzeugt, daß wir dies nicht allein unter heutigen Gesichtspunkten beurteilen dürfen. Wir müssen uns auch bemühen, in die damalige Zeit hineinzudenken. Ich stimme den Worten unseres Präsidenten zu, der sagte, wenn wir hier über Unrecht sprechen, können wir das nur in dem Bewußtsein tun, daß vorher ein erheblich größeres Unrecht geschah.

Würden Sie die Suche nach einem korrekten Weg unterstützen, mit dem man den Sudetendeutschen ihr Eigentum zurückgeben oder erstatten kann?

Diese Frage ist schon längst pasé.

Nach Meinungsumfragen befürchten die Tschechen, daß sie von Deutschland wirtschaftlich beherrscht werden. Droht das Ihrer Meinung nach wirklich?

Was heißt denn, daß uns Deutschland beherrschen wird? Werden wir beherrscht, wenn große und zuverlässige deutsche Unternehmen, wie Continental oder Siemens bei uns hochqualifizierte Arbeitsstellen schaffen und wenn ihre Zweigstellen Erzeugnisse mit hohem Mehrwert produzieren? Wenn solche Unternehmen bei uns überwiegen, wird über unsere Wirtschaft in Frankfurt oder in Wolfsburg entschieden.

Diese Frage wurde mir gestellt, als Volkswagen Skoda übernahm. Ich antwortete: Es kann nicht unser Interesse sein, Skoda von Deutschen beherrschen zu lassen, sondern daß auch tschechische Manager in Wolfsburg sitzen. Heute gibt es mehrere solche Zentralen, in denen auch Tschechen sitzen.

Haben Sie keine Angst, daß uns die Deutschen mittels wirtschaftlicher Interventionen auch politisch beherrschen werden? Droht uns nicht, daß wir zu einem Bundesland werden?

Tschechische Republik ist bei weitem nicht so bedeutungsvoll, wie zum Beispiel Baden-Würtenberg oder Bayern. Bayern könnte man mit der Tschechischen Republik im Hinblick auf Einwohnerzahl und Fläche vergleichen, das Wirtschaftsprodukt Bayerns beträgt jedoch das Vierfache. Die politische Souverenität, wie zum Beispiel das Erlassen eigener Gesetze, eine selbständige Außenpolitik, eigenständige Vertretung in internationalen Organisationen , kurz - im gesamten politischen Spektrum, ist dagegen völlig anders ausgeprägt.

Wird die Souverenität nicht zu einer leeren Hülle, wenn wir der deutschen Politik folgen müssen, egal, ob wir es wollen oder nicht?

Wenn wir Mitglied der EU sein werden, wird unsere Unabhängigkeit von deutscher Politik weitaus größer sein, als wenn wir es nicht wären. Wir können es uns nicht erlauben, auf der anderen Seite der Barriere zu bleiben. Über eine solche Barriere könnte uns Deutschland erst recht Bedingungen stellen. Dies wäre eine unangenehme und für die Tschechen wesentlich ungünstigere Abhängigkeit.

SICH NICHTS EINREDEN

Der Westen legt uns, egal ob über Berlin oder über Brüssel, ständig Bedingungen auf und uns bleibt nur übrig, sie zu erfüllen. Ist unsere Außenpolitik nicht passiv?

Sie haben recht. Versuchen wir uns die Frage zu stellen, wie sind wir in die Lage gekommen, daß einige Journalisten den Begriff Neokolonialismus benutzen und die Politiker über Leibeigenschaft sprechen. Vor dem Jahr 1989 wurde zu Recht der Begriff „kalter Krieg“ benutzt, da der kommunistische Teil der Welt proklamierte, daß das friedliche Zusammenleben eine Fortsetzung des Klassenkampfes ist. Der Westen empfand dies als eine Art Aggression und stellte dagegen die sg. Strategie der Zurückhaltung. Auch wenn wir es sehr ungern zugeben, wir gehören zu den Verlierern des kalten Krieges und schom immer haben die Sieger über die Form des Friedens entschieden.

Wie haben die Sieger über uns beschlossen?

Mit einer Strategie der Erweiterung, mit der der Bereich der Prosperität und des Friedens ausgedehnt werden soll. Hierdurch sollten die Ausgaben für die Rüstung vermindert und freiwerdende Mittel für andere, insbesondere soziale Ziele eingesetzt werden. Das war die Erwartung und die Strategie des Westens zu Beginn der 90-er Jahre. Wie die Vereinigung Europas aussehen wird, hat bereits die Vereinigung Deutschlands angedeutet. Nach dem Fall des Kommunismus gab es auch in Ostdeutschland die Vorstellung, daß es zu einer Synthese beider Systeme kommen wird und daß aus jedem Teil, zwar aus dem kommunistischen wesentlich weniger, etwas übernommen wird und daß ein neues Deutschland mit einer neuen Verfassung und neuen Elementen entstehen würde. Damals sagten die ostdeutschen Dissidenten: „Die Vereinigung wird das gesamte Deutschland ändern“. Es zeigte sich, daß dies nicht der Fall ist. Die Sieger haben beschlossen, daß es nicht erforderlich ist, im Rahmen Deutschlands ihr System zu verändern, und ich füge hinzu, auch im Rahmen Europas. Die andere Seite ist verpflichtet, es so zu übernehmen, wie es vorliegt.

Bleibt uns auch nichts anderes übrig, als die Bedingungen zu akzeptieren?

Als damals der Plan der Vereinigung präsentiert wurde, protestierte niemand. Die Proteste kommen zwar, aber erst sehr spät.

Die westlichen Politiker können Fehler begehen. Passierte nicht ein Fehler auch in diesem Fall?

Westeuropa, damit meine ich überwiegend Frankreich und Großbritannien, haben seit 1989 zwei große Fehler begangen – das ist meine persönliche Meinung. Erstens, die Vereinigung Deutschlands wurde nicht unterstützt, die Deutschen verdanken dies den beiden Großmächten, insbesondere den USA. Es kann ein Tag kommen, an dem sich die Deutschen daran erinnern werden. Ein weiterer Fehler war, daß sich Westeuropa mehr auf die Vertiefung der EU konzentrierte, insbesondere auf die Einführung einer gemeinsamen Währung, und nicht auf die Erweiterung. Den Kandidaten gegenüber, einschließlich den Deutschen, trat man keinesfalls großzügig auf. Dennoch können wir nicht von einer unfairen Vorgehensweise sprechen. Versetzen wir uns in ihre Rolle. Hätten wir eine Grenze zur Ukraine, was wären unsere Befürchtungen, wenn wir sofort diese Grenze öffnen sollten?

Ist nicht die geringe Begeisterung der Tschechen für den Beitritt in die EU, in der die Deutschen die wichtigste Rolle spielen, ein Abbild der historischen Erfahrung? Der tschechische Patriotismus basierte immer auf dem Mißtrauen gegenüber den Deutschen.

Wir können uns auf die historische Erfahrung mit Deutschland beziehen, jedoch nicht mit der Union, da wir mit ihr fast gar keine Erfahrungen haben. Das ist unser großer Fehler. Es passiert oft, daß wir uns nicht genau dessen bewußt werden, was die Union eigentlich ist.

Bedeutet der Beitritt zur Union nicht automatisch einen stärkeren deutschen Einfluß?

Hier ist es einfach, nein zu sagen. Es gibt keinen Sinn, sich einzureden, nicht von Deutschland abhängig zu sein – wirtschaftlich sind wir sehr abhängig. Jedoch gerade im Rahmen unserer Abhängigkeit müssen wir uns um eine Annäherung an Deutschland bemühen. Ich würde es als eine gefährliche Situation betrachten, einerseits von Deutschland abhängig zu sein und sich andereseits gegenüber Deutschland gleichgültig oder sogar feindselig zu verhalten. Wir benötigen die Deutschen als Verbündete und müssen imstande sein, ihnen zu sagen, daß sie uns nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer nationalen Egoismen sehen können.

Und wie wollen Sie es ihnen verdeutlichen?

Ein gleichberechtigter Diskussionspartner werden wir nur mit dem vollwertigen Beitritt in die EU.
 

DIE BESTEN IN DER GESCHICHTE

Als hoher Staatsbeamter haben Sie sich nach der Entstehung der CR an der Gestaltung der Beziehungen zu Deutschland beteiligt. Was war der größte Fehler der tschechischen Politik?

Zu spät ist uns die Notwendigkeit einer Verbindung mit Deutschland klar geworden. Wie würde z.B. heute die Situation in Verbindung mit dem Atomkraftwerk Temelín aussehen, wenn die Fa. Siemens die Sicherheit gegenüber Europa garantieren würde?

Mit anderen Worten: Klaus und Zeman unterschätzten die Partnerschaft mit den deutschen Kollegen.

Klaus mußte das riesige Problem der Scheidung mit der Slowakei lösen, die Privatisierung mußte vollzogen werden usw. Es wäre unfair, ihm die Deutschlandpolitik vorzuhalten. Es war eher ein gemeinsamer Irrtum von uns allen, daß wir an den selbständigen tschechischen Weg glaubten, der später als der tschechische „Königsweg“ (Weg der Klassenbesten) bezeichnet wurde. Auch wenn wir es niemals laut sagten, so glaubten wir doch, uns nicht um eine besondere Beziehung zu Deutschland oder der EU bemühen zu müssen, da unser Modell als ein strahlendes Beispiel für den Fortschritt in Richtung Europa gelten könne und daß Europa sich mit gleichem Interesse um uns bemühen wird, wie wir um Europa. Die Wirkung von Zeman werte ich hier absolut positiv: Gerade dank ihm erreichten wir die in der Geschichte bisher besten Beziehungen zu Deutschland.

Wie hat er das erreicht?

Vor allem durch seinen persönlichen Charme, den Ihre Zeitschrift „Respekt“ bisher noch nicht entdeckte. Auch dadurch, daß die deutsche und die tschechische sozialdemokratische Partei beste Beziehungen knüpften, noch ehe sie an die Regierung kamen.

Was haben den Tschechen während der Regierung Zeman die Beziehungen zu den Deutschen gebracht?

Erstens: Deutsche Investitionen. Zweitens: Mit der gegenwärtigen deutschen Regierung haben wir eine gewisse Sicherheit (dies haben beide Regierungschefs vereinbart), daß die Probleme der Vergangenheit nicht eskalieren werden.

Wie sehen uns die heutigen Deutschen?

Der Spiegel veröffentlichte vor kurzem eine Untersuchung darüber, welche der Kandidatenländer die Deutschen am meisten mögen. An erster Stelle stand Ungarn mit 80% und mit 72% dicht dahinter die Tschechische Republik. Es ist auch nicht wahr, daß die Deutschen die Tschechen als ein kulturloses, unqualifiziertes, ungebildetes und unfähiges Volk ansehen.

Warum wehrt sich gerade Deutschland dagegen, die Grenze für unsere Arbeitskräfte zu öffnen und warum wird eine siebenjährigen Frist verlangt?

Vor der Wahl besetzt Kanzler Schröder programmäßig alle Themen, die der Opposition Wählerstimmen bringen könnten. Dieser Brei wird nicht so heiß gegessen.
 
 
BORIS LAZAR (55) in Bratislava geboren, studierte an der Comenius Universität Philosphie und war nach seinem Studium als Arbeiter, Erzieher von Lehrlingen, Redakteur des Verlages „Slowakischer Schriftsteller“ (schrieb u. a. ein Buch mit Erzählungen) und wissenschaftlicher Mitarbeiter am „Institut für technische Kybernetik“ der Slowakischen Akademie der Wissenschaften tätig. Im Jahr 1986 emigrierte er nach München, von wo aus er nach vier Jahren nach Bratislava zurückkehrte um dort für die Bewegung „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ zu arbeiten. Im gleichen Jahr noch wurde er Berater von Ján Langoš, Innenminister der Tschechoslowakischen Föderativen Republik, und nach den Wahlen 1992 war er in der gleichen Funktion für den Außenminister Josef Zieleniec tätig. Im tschechischen Außenministerium arbeitet er bis heute. In den Jahren 1995-99 war er Gesandter der Tschechischen Republik in Deutschland, anschließend Berater von Pavel Telicka, dem Staatssekretär für die europäische Integration. In dieser Woche nimmt er die Funktion des Botschafters der Tschechischen Republik in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Verfasser: Petr Holub

21.05.01, Artikel in der tschechischen Zeitschrift „Respekt“