Deutsch- Tschechische und -Slowakische Gesellschaft e.V.
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Die Slowakei will Europa aktiv mitgestalten
Staatssekretär Ján Fígel´ zu aktuellen Fragen
der Osterweiterung
von Dana Mestek
Seit dem EU-Gipfel in Helsinki gehört die Slowakische Republik zum
Kreis der potentiellen Beitrittskandidaten. Der EU-Chefunterhändler
des jungen Staates an der Donau, Staatssekretär Ján Fígel',
wertet das als wichtigen Schritt, der bisher alle Beitrittswilligen zur
vollen Mitgliedschaft geführt hat. Der vierzigjährige Christdemokrat,
für den ”die politische Akzeptanz der Osterweiterung in den fünfzehn
Mitgliedsstaaten eine wichtige Bedingung ist”, zeigt Courage, wenn er meint,
daß die Slowakei bis Januar 2004 für den Beitritt vorbereitet
sein kann. Fast drei Viertel der westlichen Investoren meinen, daß
die bisherigen Veränderungen in der Slowakei hätten schneller
verlaufen müssen. Laut der kürzlich in Brüssel vorgelegten
Studie haben die meisten westlichen Firmen das erweiterte Europa als Realität
akzeptiert, doch die EU nimmt an, daß es immer noch starke Querverbindungen
zwischen der Wirtschaft und der Politik gibt. EU-Kommisar Verheugen äußerte
sogar die Befürchtung, daß die Ex-Kommunisten im ehemaligen
Ostblock noch immer starken Einfluß auf die Wirtschaft ausüben.
Ján Fígel', aussichtsreicher Kandidat für den Vorsitz
seiner Partei KDH, tadelt trotzdem die Fragezeichen seitens der EU an die
Adresse der Beitrittskandidaten als ”entmutigend”. Die Osterweiterung ist
für ihn die ”Reifeprüfung in Europatauglichkeit auf beiden Seiten
der Schengener Grenzen. Die Slowaken sind zu siebzig Prozent für die
Mitgliedschaft ihres Landes in der EU. Eine Rolle spielt sicher auch die
Freude darüber, daß wir endlich die Chance dazu bekommen haben”,
betont er. Was ist zu erwarten, wenn auf die Begeisterung die Ernüchterung
folgt? Die EU-Mitgliedschaft erscheint in Bratislava als die logische Folge
der bisherigen Entwicklung.”Schon heute wickelt das Land 60% des Außenhandels
auf dem Binnenmarkt der EU ab und der pro-Kopf-BSP in Bratislava läßt
sich bereits mit dem europäischen Niveau messen”, betont Fígel',
der im Westen Politik studiert hat. Er sieht es als Herausforderung für
sein Land an, künftig aktiv an der Gestaltung der neuen Regeln beteiligt
zu sein und weiß, daß die Slowaken die Aufgaben, ”die auf sie
in Europa warten, zunächst im eigenen Land zu lösen lernen müssen.”
Da wäre der Umgang mit den Minderheiten als vorsichtig positives Beispiel
zu nennen. Trotz der gravierenden Schwierigkeiten mit den Roma, scheint
zumindest auf der Regierungsseite einiges gut zu laufen, wie der tschechische
Aktivist. Emil Scuka bei der Roma-Weltkonferenz in Prag bestätigte.
Die rassistischen Tiraden des oppositionellen Abgeordneten Móric,
der kürzlich die Einrichtung von Reservationen für die Roma verlangt
hat, schlagen in den letzten Tagen hohe Wellen in der Presse und Politik
und offenbaren den Stils und Standpunkt der SNS. Doch nicht nur diese komplizierte
Aufgabe verbindet die Slowakei mit den anderen mitteleuropäischen
Ländern. Ján Fígel' stellt mit recht fest, daß
”die Gruppe der Visegráder Staaten ohne diese Region nicht denkbar”
sei. Der gemeinsame Beitritt gestaltet sich dennoch kompliziert. Fígel's
tschechischer Kollege Teli?ka begrüßte kürzlich, daß
nach den Worten von EU- Kommisar Verheugen Prag nicht gezwungen werde,
auf die Slowakei zu warten. Der deutsche EU-Politiker warnte die Polen,
daß sie wegen ihrer Agrarprobleme den geplanten Zeitpunkt der Aufnahme
verfehlen könnten. In Bratislava besteht man zwar ”nicht darauf, daß
alle auf einmal aufgenommen werden. Es wäre aber sehr kostspielig,
wenn die Schengener Grenzen um das Land herum gezogen würden” erklärt
Staatsekretär Fígel', der die Zusammenarbeit innerhalb der
Visegrád Gruppe, z. B. die Zollunion mit den Tschechen, hoch schätzt.
Diese guten Beziehungen sollten die EU-Mitglieder als Einstand sehen und
bedenken, daß ”sie auch eine kooperative Mitwirkung in Brüssel
versprechen”. Die Frage der Landwirtschaft sei in der Slowakei nicht so
empfindlich wie in Polen und ”nur fünf Prozent der Bürger sind
im Agrarbereich beschäftigt”. Wieviele Fragen hier noch offen sind,
wird man wissen, wenn der Maßnahmenkatalog für die vernachlässigte
Provinz 2001 auf dem Tisch liegt. Ján Fígel' weiß,
daß die Slowakei Prioritäten setzen muß, ”wobei die wichtigsten
in der Annäherung an die euroatlantischen Strukturen zu sehen sind”.
Regierungschef Dzurinda sieht die kürzlich erfolgte Einladung der
Slowakei zur Mitgliedschaft in der OECD als weiteren Schritt auf dem Weg
zu diesem Ziel. Diese Priorität steht und fällt mit der Stabilität
der innenpolitischen Lage. Fígel's KDH würde heute trotz Gewinnen
mit knapp über 4% die Parlamentsfähigkeit verfehlen und Dzurindas
liberale KDU lockt nur 13% der Wähler an: genau die Hälfte der
insgesamt über 26% Slowaken, die weiterhin zu Ex-Regierungschef Me?iarund
seiner HZDS stehen, der zusammen mit der SNS ein Volksentscheid und dadurch
vorzeitige Neuwahlen erzwingen will. Auf Präsident Schuster, der in
der nächsten Woche nach ernster Erkrankung aus Österreich ins
Land zurückkehrt, wartet eine nicht einfache Aufgabe: über die
Ausschreibung des Referendums zu entscheiden.
Dieser Artikel ist in leicht gekürzter Fassung am
18.8.2000 in der Berliner Tageszeitung "Der Tagesspiegel" unter dem
Titel "Reifeprüfung für alle" mit dem Untertitel "Der Europa
Beauftrage Figel hofft auf Beitritt im Jahr 2004" erschienen.