Dr. Ludger Buerstedde
Die Slowakei vor dem EU-Beitritt
Vortrag vor der Südosteuropa-Gesellschaft, Zweigstelle Bonn-Köln,
Deutsche Welle, Bonn 22.3.2004
     
    In 5 Wochen wird die Slowakei Teil der EU sein und dann mit uns die Zukunft Europas gestalten.
Grund genug, uns eingehender mit diesem Land, der Geschichte, dem politischen und wirtschaftlichen System und seinem Beitrag für Europa zu befassen.

Mein Bild der Slowakei wurde durch zwei Erlebnisse geprägt:

* bei meinem Dienstantritt in der Slowakei –1997- schockierte mich im Spiegel die Überschrift: „Slowakei - hässlicher Nachbar: Meciar regiert mitten in Europa wie der Herrscher einer Bananenrepublik.“
* ein Jahr später begrüßte ich am 8.Mai dem Europatag - als Vertreter der EU-Präsidentschaft auf dem Marktplatz in Pressburg die Menge mit: „Verehrte Bürger Europas“.

Daraufhin gab es nicht endenwollenden Beifall. Ich spürte: Sie sind Europäer; sie wollen Teil der Europäischen Union werden.
Und sie haben das inzwischen durch mutige Reformen bewiesen.
Heute können wir in der Zeitung lesen: “Das Wunder an der Donau“ oder: „Mit unseren Reformen stärken wir die Reformkräfte in der EU (FM Miklos, FAZ 10.2.04).
Vom hässlichen Nachbarn zum Vorbild?

   

 

    I. Der lange Weg zum eigenen Staat
    Die Geschichte ist lebendig
Die Slowakei ist als eigenständiger Staat sehr jung - Gründung am 1.1.1993-also gut 10 Jahre. Als Volk alt im Gebiet zwischen den Kleinen Karpaten, Hoher Tatra und der Donau, allerdings fast 1000 Jahre als Oberungarn Teil des ungarischen Königreiches. Die Krone des ersten christlichen Königs von Ungarn, des heiligen Stephan, ziert noch heute den Turm des Pressburger St. Martin-Domes. Nach dem „Ausgleich von 1867“ zwischen Österreich und Ungarn (auch Folge der österreichischen Niederlage gegen Preußen) betrieb die ungarische Regierung eine rigorose Magyarisierungspolitik; diese stieß bei den Slowaken, die gerade eine eigene nationale Identität (Einfluss Herders) zu entwickeln begannen, auf große Erbitterung und führte zu bleibendem Misstrauen gegenüber Ungarn.

Mit der Auflösung der ungarisch-österreichischen Doppelmonarchie als Folge des 1. Weltkrieges wird 1918 die Slowakei mit Böhmen und Mähren Teil der neuen Tschechoslowakei - als ein Nachfolgestaat der Habsburger Monarchie. Diese „Ehe“ verläuft - trotz ähnlicher Sprache - nicht harmonisch. Die Slowaken, bäurisch und streng katholisch, wünschen Autonomie; die Tschechen, hoch industrialisiert und weniger religiös, beharren auf einem zentralistischen tschechisch dominierten Staat; ein Grund dafür ist auch, dass sie der sudeten-deutschen Minderheit – mit 28% zahlenmäßig stärker als die Slowaken mit 13% – keine entsprechenden Rechte einräumen wollten. Als Hitler die Tschechoslowakei zerschlug, bildete sich in der Slowakei unter seinem Druck ein eigener Staat mit klerikal-faschistischen Zügen –und dem Deutschen Reich als Schutzmacht (18.3.1939). Bis heute wirkt nach, dass Hitler gedroht hatte, die Slowakei zwischen Polen und Ungarn aufzuteilen und dass durch den Wiener Schiedsspruch (2.11.1938) über 10.000 qkm im Süden und Osten der Slowakei – mit ungarischen Minderheiten - Ungarn zugesprochen wurde.

Nach dem 2. Weltkrieg konnten die Slowaken in der wieder erstandenen Tschechoslowakei, insbesondere nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 kaum eigene Rechte durchsetzen; das führte immer wieder zu Friktionen. Die bis dahin weitgehend landwirtschaftlich strukturierte Slowakei wurde zunehmend industrialisiert, jedoch vorwiegend –im Zuge der Arbeitsteilung im Warschauer Pakt und Comecon - mit Rüstungsbetrieben, wobei an die aus der Tiso-Zeit stammenden Hermann-Göring-Werke angeknüpft wurde.

Warum die Trennung?
Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus und der „Sanften Revolution“ konnte die Tschechoslowakei endlich wieder einen freien und demokratischen Rechtsstaat entwickeln. Aber wiederum zeigte der Zentralismus in Prag zu wenig Verständnis für slowakische Forderungen nach wirklicher Gleichberechtigung
Die zunächst gefundene Formulierung für den Staatsnamen“ Tschechische und Slowakische Föderative Republik“ konnte nicht befriedigen. Vladimir Meciar, der Wortführer der Slowaken verlangte nach seinem Wahlsieg im slowakischen Teil 1992 größere Autonomie. Sein Gegenspieler auf tschechischer Seite, der heutige Staatspräsident Vaclav Klaus, hoffte, seine Ziele, nämlich die durchgreifende liberale Modernisierung der Wirtschaft und den Beitritt zur EU ohne die „rückständige“ Slowakei schneller zu erreichen. So kam es zum Bruch, zur friedlichen Trennung von oben, ohne Befragung der Wähler. Anders als in Jugoslawien gelang es, die Trennung geordnet durchzuführen, wobei für die Teilung der Vermögenswerte ein Schlüssel von 2 – für Tschechien - und 1 - für die Slowakei - angewendet wurde.
Heute ist die Selbstständigkeit kein Thema mehr.

Das Regime Meciar
Mit dem 1.1.1993 wurde die Slowakei unabhängig. Die Regierung unter Ministerpräsident Meciar stand vor riesigen Problemen. Vor dem Hintergrund einer äußerst ungünstigen Wirtschaftslage galt es, ein demokratisches System - in einer äußerst volatilen Parteienlandschaft - zu stabilisieren, die Institutionen des Staates auf- bzw. auszubauen, u.a. einen eigenen auswärtigen Dienst
Das Verhältnis zu nationalen Minderheiten, insbesondere der ungarischen, war zu ordnen. Darüber hinaus musste die Integration in die europäischen Institutionen angesteuert werden.
Meciar, der nach dem Prager Frühling 1968 aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war, war mit seiner „Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) mit gut einem Drittel der Stimmen stärkste politische Kraft. Er versprach den verunsicherten Slowaken feste Orientierung und fand großen Rückhalt bei der einfachen Bevölkerung insbesondere in der Mittelslowakei. Er versuchte, eine nationale Identität eher durch Abgrenzung zu der ungarischen Minderheit und auch durch Rückgriffe auf eine mythische Vergangenheit zu entwickeln. Wirtschaftlich erkaufte er kurzfristiges Wachstum durch hohe Verschuldung.

An der komplexen Herausforderung, nämlich die junge Souveränität der Slowakei zu festigen und sie gleichzeitig auf den Weg in die Europäische Union zu führen, scheiterte Meciar. Er zog es vor, seine persönliche Macht zu stärken, auch durch illegale Aktionen des Geheimdienstes, wie die Entführung des Sohnes des Staatpräsidenten Kovac, der sich gegen den autoritären Stil Meciars gewendet hatte; Missachtung des Parlaments durch willkürliche Aufhebung des Mandats eines abtrünnigen Abgeordneten und insbesondere durch die „Beteiligung“ seiner Freunde und Anhänger an den „Früchten“ der Privatisierung
Die EU-Kommission kritisierte in ihrem ersten Bericht über die Fortschritte der Kandidatenländer 1997 Demokratiedefizite in der Slowakei unter Meciar und lehnte daher die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ab.
Meciar regierte mit wechselnden Koalitionen und einer kurzen Unterbrechung (1994) bis zum Herbst 1998 - bei wachsender außenpolitischer Isolierung und innerer Polarisierung, insbesondere vor den Parlamentswahlen; kurz vorher änderte Meciar das Wahlgesetz zu Lasten kleiner Parteien und missbrauchte massiv das staatliche Fernsehen für die eigene Propaganda.
Vergeblich. Die Oppositionsgruppierungen um die SDK setzten auf die Karte: Gegen Meciar – für Europa

     
    II. Entschlossene Heimkehr nach Europa
    Die Koalition unter MP Dzurinda
Bei den Wahlen am 25.9.1998 gelang es den Parteien, die gegen Meciar angetreten waren, bei einer Rekordwahlbeteilung von 84% über 60% der Stimmen zu gewinnen- eine verfassungsändernde 3/5 Mehrheit.
Seitdem bilden die slowakische Demokratische Koalition (SDK – ein loser von Meciars Wahlgesetz erzwungener Zusammenschluss von KDH, DU, SDSS, Grünen, DS), die Partei der demokratischen Linken (SDL), die Ungarische Koalition (SMK) und die Partei der Bürgerverständigung (SOP-Schuster) eine bunte - linke und rechte Tendenzen - umfassende Regierung unter Ministerpräsident Dzurinda (SDK). Bedeutsam ist, dass erstmals die Partei(en) der ungarischen Minderheit in der Regierung vertreten ist.

Schwerpunkte des Regierungsprogramms der Regierung Dzurinda waren und sind:
I ntegration in die euro-atlantischen Strukturen: EU, NATO, OECD.
Die Aufnahme in die OECD ist am 14.12.2000 erfolgt; der Nato-Beitritt findet in 2 Wochen - übrigens ohne Widerstand Russlands - am 2.April statt.
Krönung ist der Beitritt zur EU zum 1.5.
Unerwartet große Erfolge in kurzer Zeit!
Weitere Ziele:
- Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarn, insbesondere Ungarn, Tschechien.
Ausbau der rechtsstaatlichen Strukturen
- Gesundung der Staatsfinanzen durch Verringerung der hohen Defizite des Haushalts und der Leistungsbilanz
- Restrukturierung der Wirtschaft, insbesondere des Bankensektors, Transparenz bei der Privatisierung, Öffnung für Auslandsinvestitionen
Nach der Wiederwahl 2002:
Die entschlossene Modernisierung des Steuerrechts und der Sozialsysteme, sowie die Sanierung des Haushalts mit dem Ziel, 2008 der Eurozone beizutreten.

Eine neue Außenpolitik
Außenpolitisch hat die Regierung Dzurinda erfolgreich gewirkt. Die Beziehungen zu Tschechien sind normalisiert – sogar mit freundschaftlichem Unterton, nachdem alle, auch die finanziellen Probleme aus der Teilung geregelt wurden.. Das Verhältnis zu Ungarn ist weitgehend entspannt, wenn auch immer wieder Irritationen entstehen, wie bei Durchführung des slowakischen Sprachengesetzes oder der Verwaltungsreform, welche die Einrichtung von Bezirken mit mehrheitlich ungarischstämmiger bewusst vermied. Die Irritationen durch das ungarische Statusgesetz von 2003 konnten durch Dzurindas Einsatz entschärft werden: Die Förderung der jeweiligen Minoritäten - also der ungarischen in der Slowakei und der slowakischen in Ungarn - erfolgt im Rahmen des bilateralen Nachbarschaftsvertrages von 1995, der weitgehend dem Modell für Minderheitenschutz des Europarates entspricht.

Die Brücke zwischen Stupova und Esztergom über die Donau, die seit dem Ende des 2. Weltkrieges zerstört war, ist endlich wieder errichtet – auch mit EU-Hilfe! Nach über 50 Jahren mehr als ein Symbol!
Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei formen die Visegrad-Gruppe, benannt nach der beindruckenden Ruine des Königsschlosses Visegrad am Knie der Donau. Ursprünglich gedacht zur gemeinsamen Reaktion auf befürchtete Einflussnahmen der SU/RussF. Eine wesentlich verstärkte regionale Zusammenarbeit hat sich bisher nicht entwickelt. Visegrad dient vielmehr als - Koordinierungsforum - der Partner bei den Verhandlungen mit der EU für den Beitritt. Beim letzten Treffen am 1.10.2003 auf der tschechischen Burg Dobris gelang es jedoch nicht, eine gemeinsame Erklärung zur Regierungskonferenz (EU Verfassungs Entwurf) zu verabschieden. Sie sind jedoch einig beim Prinzip: Ein Land –ein Kommissar, für eine rotierende Präsidentschaft und gegen eine EU-Verteidigungsbündnis – in Konkurrenz zur NATO.
Letzteres macht deutlich, dass sie ihre Sicherheit durch die NATO gewährleistet sehen, wo die USA der entscheidende militärische Faktor ist.

Im Vorfeld des NATO-Beitritts hat die slowakische Regierung NATO-Operationen in Ex-Jugoslawien mitgetragen - auch gegen Proteste in der Bevölkerung. Die Umstellung der Streitkräfte nach dem Membership Action Plan des Prager NATO-Gipfels ist im Gange (Verkleinerung, Professionalisierung, erhöhte Mobilität, Einsatzfähigkeit und NATO-Kompatibilität). Das slowakische Parlament hat im April 2003 als erstes der „Eingeladenen Kandidadaten“ dem Beitritts –Dokument zugestimmt – in einer unkontroversen Debatte.

Beachtlicher internationaler Einsatz der slowakischen Streitkräfte - über 800 Soldaten: im UN-Bereich (z.B. UNICYP), NATO (SFOR, KFOR), und Einsätzen in Afghanistan -Enduring - und Iraqui Freedom (85 Pioniere im polnischen Sektor – zur Minen- und Munitionsbeseitigung). Die Beteiligung der slowakischen Regierung an dem kontroversen Brief der 8 an Präsident Bush zur Unterstützung der amerikanischen Irakpolitik zeigt, dass sie ihre Sicherheit letztlich durch die USA gewährleistet sieht.

Der Beitritt der Slowakei zur EU ist in einem beispiellosen Parforce-Ritt- vom Spätstarter zur Spitzengruppe - durch die 31 Kapitel der Verhandlungen geleistet worden. Der Beitritt, wichtigstes von Regierung und Bevölkerung - wurde in einem Referendum am 16/17.5.2003 - bei einer Wahlbeteiligung von 52,15% - mit 92,46% Ja-Stimmen angenommen.
Die Regierung Dzurinda hat es in kurzer Zeit geschafft. die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen:

-institutionelle Stabilität (Demokratie, Menschenrechte, Minderheitenschutz)
-eine funktionsfähige Marktswirtschaft , die den Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Union standhält
-Fähigkeit zur Übernahme der Pflichten der Mitgliedschaft (Aquis communitaire)einschließlich dem Einverständnis mit den Zielen der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion.

Auf die „funktionsfähige Marktswirtschaft“ gehe ich näher ein.

Von der Plan- zur Marktwirtschaft
Das schwierigste Problem in den meisten Transformationsstaaten ist die Umformung der früheren Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft. Die Ausgangslage in der Slowakei war besonders schlecht. Sie wurde erst Anfang der 50er Jahre industrialisiert mit Schwerpunkt Metallurgie, Energie, Chemie und Rüstungsindustrie. Sie galt als eine Waffenschmiede des Warschauer Paktes. Diese Schwerindustrie kam nach der Wende praktisch zum Erliegen. Zweiter Nachteil war, dass Meciar die Privatisierung meistens durch „Management buy out“ durchführte, um slowakische Unternehmer zu fördern. Abgesehen von der Bevorzugung von Parteifreunden erwies sich als großer Nachteil: die Unternehmen erhielten durch diese Art der Privatisierung weder neues Kapital noch Innovation.
Auslandsinvestitionen wurden eher entmutigt.

Die Regierung Dzurinda hat eine entscheidend neue Politik durchgesetzt:
-Privatisierung von staatlichen Unternehmen in transparenter Weise
-Sanierung und Privatisierung der überschuldeten Banken als wichtige Voraussetzung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung
-deutliche Anreize für Auslandsinvestitionen
-Verringerung von Beihilfen und Subventionen
-Deregulierung administrativer Preise, vor allem bei Mieten, Energie, öffentlichem Nahverkehr.
Diese Politik, die zum großen Teil von der EU im Rahmen der Beitrittspartnerschaft vorgegeben wurde, ist mit großen Anpassungen und sozialen Härten verbunden, die alles andere als populär sind. Die unmittelbaren Effekte sind für weite Teile der Bevölkerung zunächst negativ, nämlich erhöhte Arbeitslosigkeit in benachteiligten Regionen, vor allem in der Mittel- und Ostslowakei sowie Verlust an realer Kaufkraft. Während die Region um die Hauptstadt Pressburg, deren Einkommen schon den EU-Durchschnitts erreicht, boomt, und ihr Arbeitsmarkt leergefegt ist, gibt es in den ärmeren östlichen Regionen Arbeitslosenraten von 25% und mehr.
Die wirtschaftlichen Erfolge sind durchaus eindrucksvoll: Die erheblichen Defizite des Haushalts und der Leistungsbilanz sind verringert worden und zeigen fallende Tendenz, liegen aber noch über den Maastricht Kriterien. Wichtiger Pluspunkt ist die beindruckende Erhöhung der Auslandsinvestitionen. Das ist nicht nur ein Vertrauensbeweis in die Zukunft der Slowakei , sondern bringt vor allem frisches Geld und know how. Und das führt zu mehr Arbeitsplätzen.
Deutschland ist übrigens wichtigster Investor, zugleich als größter Importeur und Exporteur bedeutendster Handelspartnerder Slowakei. Die wichtigsten deutschen Investoren sind: Volkswagen, Deutsche Telekom, Siemens, Reemtsma, Sauer-Sundstand, Degussa, Hypo -Vereinsbank, Leonie-Autokabel, Nordzucker, Allianz.

Die EU-Kommission bescheinigt der Slowakei in ihrem letzten Fortschrittsbericht vom 8.11.2002, dass sie eine funktionierende Marktwirtschaft hat, die mittelfristig in der Lage sein dürfte, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der Union standzuhalten, wenn die geplanten Reformen umgesetzt und um weitere ergänzt werden.

Reformpolitik ist nicht populär
Um so erstaunlicher ist, dass Dzurinda 2002, zwar geschwächt durch die Veränderung der Parteienlandschaft und Verluste bei den Parlamentswahlen - wieder die Regierung bilden konnte – fast einmalig – in den Transformationsländern, wo Reformregierungen regelmäßig abgestraft wurden.

Die 2. Regierung Dzurinda hat das Reformtempo sogar noch gesteigert - besonders unter Einfluss von Finanzminister Ivan Miklos (43). Seine Steuerreform ist einzigartig, Ähnlich radikal ist die Reform der sozialen Sicherungssysteme: Gesundheit und Renten sowie die des Arbeitsmarktes.

Die Steuerreform
Am 1.1.2004 trat das Steuerreformpaket 2004 bis 2006 in Kraft. Die letzte bedeutende Steuerreform war vor zehn Jahren im Zuge der Wende vollzogen worden. Viele Novellierungen hatten zu einer Verkomplizierung geführt, was in der Bevölkerung als ungerecht empfunden wurde und daher zur Steuerumgehung verleitete.
Ziele dieser neuen Steuerreform sind:

* maximales Maß an Gerechtigkeit bei der Besteuerung
* die Neutralität von Steuer in Bezug auf wirtschaftliche Entscheidungen und Rechtsformwahl zu erreichen.
* Einkommen sollen in der Zukunft nur einmal und zwar bei der Entstehung besteuert werden. Doppelbesteuerungen von Gewinnen, insbesondere durch die Besteuerung von Ausschüttungen an Gesellschafter einer Körperschaft sollen ausgeschlossen werden.

Die Steuerreform wird vor allem durch das neue Einkommen und Körperschaftssteuergesetz-geprägt:

* Für natürliche und juristische Personen wurde ein einheitlicher Steuersatz i.H.v. 19% eingeführt (bisher progressive Steuersätze bis zu 38 Prozent).
* Körperschaftssteuer wurde vom bisherigen 25 Prozent um 6 Prozent gemindert.
* Allgemeines Ziel der Steuerreform ist die Übertragung der Steuerlast auf indirekte Steuern. Infolgedessen wurde der MwSt. Satz vereinheitlicht und auf die gleiche Höhe von 19% festgelegt.
* Abschaffung einiger Steuern wie Erbschaft- und Schenkungssteuer.
* Gründe: einerseits niedrige Steuererträge, anderseits wurden Schenkungs- und Erbschaftssteuer auf bereits besteuerte Vermögen erhoben.
* Dividenden sind nicht mehr Gegenstand der EStG und der Körperschaftssteuer
* die Grunderwerbsteuer sinkt auf 3 %. Es wird geplant, sie 2005 völlig abzuschaffen.
* keine Gewerbe-, Vermögens- und Kirchensteuer.
* Um Aufkommensneutralität zu erzielen, wurden ermäßigte Mehrwertsteuersätze abgeschafft und Verbrauchssteuern auf Tabak, Öl und alkoholische Getränke erhöht.


Bei der Gesundheitsreform geht es um

* den Abbau überzogener Nachfrage
* die Einführung von Gebühren für Rezepte, für Arzt und Krankenhausbesuche
* Verminderung des Überangebots von Hospitalbetten
* die Einführung strikter Budget- und Kostenkontrolle

Das Rentensystem wird schrittweise auf drei Säulen gestellt:
-Erlöse aus der Privatisierung staatlicher Unternehmen sollen zum Aufbau eines Kapitalstocks verwendet werden, um die Probleme beim Übergang vom reinen Umlagesystem zu verringern.
-Erhöhung des Renteneintrittalters von 60 auf 62, auch für Frauen.
-Anreize dafür, noch länger zu arbeiten, um die Nachhaltigkeit des Systems zu verbessern.

Flexibilisierung des Arbeits- und Sozialhilferechts:
-die nationale Arbeitsverwaltung wurde zum 1.1.2004 aufgelöst; Arbeits- und Sozialämter wurden zusammengefasst und direkt dem Arbeitsministerium unterstellt.
-der Kündigungsschutz und die Überstundenbegrenzung wurden gelockert.
-Verringerung der Sozialhilfe (auch wegen vermuteten Missbrauchs) bis unter Armutsgrenze; aber Wohnungszuschüsse und Kindergeld).
-dafür Anreize zur Teilnahme an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, -Lohnkostenzuschüsse für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen
die erheblichen sozialen Härten sollen durch steuerliche Entlastung, Subventionen sowie durch Förderung von Familien mit Kindern aufgefangen werden.

Die Bildungsreform soll noch 2004 verabschiedet werden, um die Slowakei auf den Weg zur Wissensgesellschaft zu bringen

Sie können ermessen, dass diese außerordentlich umfassenden Reformen neben großen sozialen Härten auch Unsicherheiten birgt, enorme Anpassungen erfordern und daher auf heftigen Widerstand stoßen - wie wir das ja auch bei uns kennen.
Leider ist die Regierung nicht geschickt genug, ihre Politik verständlich zu machen, so dass die durchaus beachtlichen Erfolge von der Bevölkerung kaum anerkannt werden, zumal sie nicht kurzfristig zu fühlbaren Verbesserungen führen. Staatspräsident Schuster hat - angeblich wegen sozialer Härte – mehrmals Gesetze zu blockieren versucht, wurde jedoch immer vom Parlament überstimmt.

In den Parlamentswahlen vom 20./21.9. 2002 wurde die Regierung –knapp- bestätigt. Dzurinda konnte am 16.10. ein neues Kabinett bilden, dass sich auf folgende Parteien stützt:
-Slowakische Christdemokratische Union (SDKU) Dzurinda- jetzt 22 Sitze
-Block der Ungarnparteien (SMK) Bugar- 20 Sitze
-Christdemokratische Bewegung (KDH) Hrusowski – 15 Sitze
-Partei des Neuen Bürgers (ANO) Rusko– 12 Sitze

Die Opposition bilden:
-die Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS)-Meciar, 26 Sitze
-„Richtung“ (SMER) Fico, 25 Sitze
-Kommunistische Partei (KSS) 10 Sitze.

Neu ins Parlament zogen:
die Partei Ficos, -(vorher LDS),
-die Kommunisten (KSS), die wohl Teile der ZRS und der LDS beerbt haben

An der 5% Klausel scheiterten:
- die sozialistische LDS Migas, 1998 :14.6%
- die Partei der Bürgerlichen Verständigung (SOP) Schuster, 1998: 8%
- die slowakische Nationalpartei (SNS) 1998: 9%.

Seit den Wahlen 2002 hat sich die Parteienlandschaft weiter verändert:
Meciars HZDS hatte bereits durch Absprung seines langjährigen Vertreters Gasparovic 2002 eine Spaltung erfahren müssen. 2003 verließen 9 Abgeordnete unter dem Vizevorsitzenden Tcac die Fraktion der HZDS und gründeten am 3.5. 2003 die Volksunion (LU).

Schlimmer traf es die Regierungsparteien:
- im Spätsommer traten drei Abgeordnete aus der ANO - Fraktion aus,
- im Dezember 2003 verließen 7 Abgeordnete die SDKU um den von Dzurinda entlassenen VM Simko und gründeten das „Freie Forum.“

Ergebnis: Dzurinda verfügt nur noch über 69 von 150 Abgeordneten, hat damit seine Mehrheit verloren, muss sich also jeweils eine Mehrheit suchen. Das ist ihm bisher gelungen: für so wichtige Gesetze wie die Steuerreform, die Restprivatisierung und den Staatshaushalt 2004.

Diese Skizze der Parteienlandschaft –kein System - zeigt einen kritischen Grad der Volatilität, also geringer Stabilität:
- die demokratische Unterfütterung durch eine Zivilgesellschaft ist schwach ausgebildet
- es fehlen klassische integrationsfähige Volksparteien
- die linken Kräfte sind zersplittert
- auch der christlich-demokratischen Mitte fehlt Integrationskraft
- Führerpersönlichkeiten mit Ausstrahlung bzw. Populismus spielen ein schillernde und häufig wechselnde Rolle; sind eher Bewegung als Partei (z. B. Meciar, Slota, Fico).

Diese Instabilität wird auch beim Kampf um die Wahl des Staatspräsidenten deutlich. Der erste Wahlgang findet in 2 Wochen - am 3.April. statt.

Die Regierungskoalition konnte sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Neben AM Kukan vom liberalen Flügel der SDKU kandidiert Miklosko (KDH), der von der Ungarischen Koalition unterstützt wird. Staatspräsident Schuster stützt seine Kandidatur - nicht auf eine Partei - sondern auf Wählerunterschriften. Meciar kandidiert für die HZDS und sein langjähriger Vertreter Gasparovic für seine junge, kleine –„Bewegung für die Demokratie“, die 2002 an der 5%-Klausel gescheitert war; er wird auch von SMER unterstützt.
Weitere 9 Kandidaten zeigen die Zersplitterung.

Kukan und Meciar haben die beste Aussicht in die zweite Runde zukommen (17.4), in der Kukan dann wohl gewinnen wird.

Besondere Spannung erhält die Wahl durch ein gleichzeitiges Referendum, das von SMER –dem Populisten Fico - initiiert wurde. Verlangt werden vorgezogene Neuwahlen des Parlaments, wobei eine mindest 50%ige Wahlbeteiligung erforderlich wäre.
Falls sich tatsächlich die Mehrheit dafür aussprechen würde, ist der Gang zum Verfassungsgericht vorgezeichnet, da unklar ist – so jedenfalls die Regierungskoalition - , ob ein solches Referendum bindend wäre.

Wer auch immer die Regierung weiterführt, steht – trotz beeindruckender Erfolge - vor großen Problemen:

* die hohe Arbeitslosigkeit in der Mittel und vor allem der Ost-Slowakei, deren Bekämpfung auch eine stärkere Regionalpolitik verfordert. Die beachtliche Steigerung der Auslandsinvestitionen geht noch am Osten vorbei – auch weil dort die Infrastruktur schlechter ist –fehlende Autobahnverbindung, veraltetes Schienennetz.
* Zu hoffen ist, dass, durch weitere Auslandsinvestitionen, - die Slowakei ist ein interessanter Standort geworden - zu weiterhin überdurchschnittlichen Wachstumsraten führen – sie liegen bis zu 2% über EU-Durchschnitt - -und damit zur graduellen Verringerung der Arbeitslosigkeit (starke Konzentration auf KfZ: VW, Peugeot-Citroen und neuestens Hyundai in Zilina).

* die dramatisch schlechte soziale Lage der Roma. Während die öffentliche Meinung noich häufig diskriminiert, tut die Regierung inzwischen Einiges, sie bedarf jedoch der europäischen Hilfe, zumal die Probleme in Ungarn und insbesondere in Rumänien vergleichbar sind.
* die anhaltende Korruption, die natürlich auch auf der noch schwachen Stellung der Rechts und vor allem auf der schlechten Bezahlung des öffentlichen Dienstes, insbesondere der Polizei beruht.

Insgesamt jedoch überwiegen die Fortschritte deutlich!

Der Beitritt der Slowakei zusammen mit ihren Nachbarn, den anderen Visegradstaaten, ist ein großer Schritt hin auf die Einheit Europas, die Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Mitteleuropa. Die Slowaken sind Teil des historischen und kulturellen Europas und wollen nach Jahren erzwungener Trennung dazugehören. Dies ist für uns alle ein Gewinn, gerade auch für uns Deutsche, die wir jetzt erstmals in unserer Geschichte von befreundeten Nachbarn umgeben sind.
Wir können sogar von den mutigen Reformen in der Slowakei lernen!
Von den Steuerreformen könnten wir uns etwas abschneiden! Sie sind auch ein Ansporn für Reformkräfte in der EU.

Die Slowakei ist eine Reise wert

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Slowakei sind freundschaftlich und waren auch kulturell immer eng. Schon im 13. Jahrhundert holten die ungarischen Könige Siedler aus deutschen Landen in die Slowakei - als Bauern, Handwerker und Bergleute. Die Karpatendeutschen, die zum Ende des Krieges zurückgeführt oder nach dem Krieg vertrieben wurden, sind heute eine Brücke zwischen Deutschland und der Slowakei. Zu den knapp 10.000 in der Slowakei verbliebenen gehört auch der jetzige Staatspräsident Dr. Rudolf Schuster.

Die Zips im Nordosten, die Bergbaustädte Schemnitz-(Silber), Kremnitz (Gold) und Neusohl (Kupfer) in der Mittelslowakei sowie die Umgebung von Pressburg waren Schwerpunkte deutscher Besiedlung. Zeugnisse dieser Kultur, die mit Polen, Ungarn, Slowaken und Juden einen fruchtbaren Austausch pflegte, sind gerade in Architektur und Kunst auch heute noch zu bewundern. Es lohnt sich, Levoca, das slowakische Rothenburg, mit ausdrucksvollen gotischen Schnitzaltären von Meister Paul zu besuchen, die evangelische barocke Holzkirche in Kezmarok oder den Elisabethdom in Kauschau zu bestaunen. Mit deutscher Hilfe aus dem Transform-Programm wurde das Konzept einer „Strasse der Gotik“ entwickelt, das Architektur, Landschaft und Tourismus umfasst. Die liebevoll restaurierte Altstadt von Pressburg hat europäische Atmosphäre. Ein Besuch der Weinberge und Kellereien an der Südseite der Kleinen Karpaten ist ein Genuss, zusammen mit einer Gänseleber.
Europa wächst zusammen – nicht nur durch Vorträge oder Verträge , sondern auch durch persönliches Kennenlernen.
Besuchen Sie die Slowakei – AHOJ!

     
    Literatur
     
   

Hochberger, Ernst: Das große Buch der Slowakei, 3000 Stichworte zur Kultur, Kunst, Landschaft, Natur, Geschichte, Wirtschaft; Sinn, 2.Auflage 2001
Matzner-Holzer, Gabriele: Im Kreuz Europas: Die unbekannte Slowakei, Wien 2001
Schönfeld, Roland: Slowakei - Vom Mittelalter bis zu Gegenwart, Regensburg 2000
Kommission der EU, Fortschrittsbericht über die Beitrittskandidaten, Brüssel

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